Galerie Schloss Neersen 11.09. bis 03.10.2022

Galerie Schloss Neersen
Friederike Hinz – Forschungs-Felder
11.09. bis 03.10.2022

„Feld-Forschung lautet der Titel der Ausstellung. Aber Feldforschung, was ist das eigentlich? Was meint die Künstlerin damit? Ich möchte Ihnen ein paar Hinweise geben. Feldforschung ist ein „systematisches, an Ort und Stelle vorgenommenes Sammeln von wissenschaftlich auswertbaren Daten über die Verhältnisse in der Wirklichkeit“, sagt der Duden dazu.
Ich frage: ‚Was ist denn diese Wirklichkeit?‘
Friederike Hinz stellt uns in ihren Arbeiten auch mehrere Möglichkeiten der Erfahrung von Wirklichkeit zur Verfügung. Sie wechselt die Perspektiven und geht direkt in den Moment, um ihn dann auf der Leinwand wieder loszulassen.
Wichtig ist, dass sich der Titel der Ausstellung bewusst aus den Wörtern Feld und Forschung zusammensetzt. Es geht nämlich nicht nur um das Untersuchen von etwas, – das ist meist Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeiten von Friederike Hinz – sondern auch um das Feld an sich. Genauer gesagt, um Maisfelder und Hasen, die darin leben.
Der Feldhase ist dabei als zentrales Leitmotiv im Werk der Künstlerin zu betrachten. Und der Hase geht dabei über seine bekannten Motive als Fruchtbarkeitssymbol, wie er häufig im biblischen und kunsthistorischen Kontext verwendet wird oder auch als Bote der germanischen Frühlingsgöttin Ostara hinaus. Der Hase steht auch nicht in Verbindung zu Beuys, der das Tier als „Organ des Menschen“ und als Symbol für Inkarnation immer wieder in sein Werk Integrierte. Von Beuys hörte die Künstlerin damals während ihres Studiums – eine Zeit in der sich Nachrichten noch nicht in Sekundenschnelle in allen möglichen Medien verbreiteten – doch da war es schon längst um sie und den Hasen geschehen. Beuys hat ja kein Patent auf den Hasen. Vielmehr schauen wir damit in die Biografie der Künstlerin, die als Tochter eines Veterinärs auf einem Bauernhof groß geworden ist, wo sie heute immer noch lebt und arbeitet. Ihre Verbindung zum Tier, auch zum Tod, zum töten des Tieres, gebären des Tieres, ist eine selbstverständliche. Eine innige und tiefe. Als Friederike Hinz mit der Malerei begann, stand für sie sehr schnell fest, dass der Mensch aus ihren Bildern verschwinden müsste und wer ist menschenscheuer als der Hase?! In den hier gezeigten Feld-Forschung wird die Künstlerin sozusagen selbst zum Hasen und gibt uns so die Möglichkeit selbst zum Hasen zu werden. Die Welt aus seiner Perspektive zu erfahren. Die Rauminstallation ‘Feldforschung MON.810-September‘ z.B. gibt die 360 grad Perspektive eines Feldhasen wieder. Ausgehend von Fotografien, die die Künstlerin auf einem abgeernteten Maisfeld aufgenommen hat, imitierte sie das eingeschränkte Sichtfeld des Hasen. In der Wissenschaft heißt es nämlich, dass das Gesichtsfeld eines Hasen 360 Grad beträgt, während er jedoch nur zu 10% hinten und vorne scharf sieht und sein übriges Sehfeld unscharf erscheint. Auf der Leinwand werden die unscharfen Farbbereiche in einzelne Farb-FELDER rücküberführt, die uns die verschiedenen Farben der Natur im Detail zeigen. Entfernt man sich von den großformatigen Bildflächen lösen sich alle zu sehen geglaubten Motive, die einzelnen Farbfelder, wieder auf und werden zu etwas Neuem. Wir sitzen damit im Feld unser eigenen Erinnerungen. Wir betreten einen konzentrischen Kreis und werden durch die Auseinandersetzung mit dem Medium Malerei auch mit uns selbst konfrontiert. Dadurch, dass wir den Pinselduktus und und die verschiedenen Farbabstufungen so deutlich erkennen können wird aus der genauen Beobachtung der Natur abstrakte Malerei. Die einzelnen pastosen Flächen scheinen sich von der Leinwand zu lösen und so wird in impressionistischer Manier ein kurzer Moment, ein stimmungsvoller Eindruck, eine 1/125 für die Ewigkeit gebannt. Ein Spiel aus Nähe und Distanz.
Ganz ähnlich verhält es sich mit Friederikes Hinz Feldversuchen. Schauen Sie genau hin,
denn sie werden keine rote Farbe finden. Weil – im Gegensatz zu uns – sieht der Hase niemals Rot! Aus diesem Grund hat die Künstlerin zur malerischen Wiedergabe der Natur nur Farbkombinationen benutzt, in denen kein Rot vorkommt. Sie sehen die Welt also wieder wie ein Hase. Interessant ist, dass man unterbewusst merkt, dass in der gesamten Farbvielfalt irgendeine Farbe fehlt, man fühlt sich aufgefordert, den Fehler zu suchen.
Gleichzeit laden die Bilder dazu ein, den Blick in die Natur um uns herum mal genauer walten zu lassen. Aus wieviel Farben besteht eigentlich ein Grashalm? Ist es nur ein helles Grün? Oder wieviele verschiedene Grüntöne sind da vorhanden? Lassen wir das Bild der Natur zu und abstrahieren es, sehen wir, wie bunt und facettenreich das Leben sein kann. Wieviel Malerei in unserem Blick steckt! Der Hase zeigt es uns!
Um das Sehen und Gesehen werden, Wahrnehmen und Erfahren von Wirklichkeit und was wir glauben, dass sie sein könnte, geht es auch in den Selbstportraits die, die Künstlerin immer dann von sich aufnimmt, wenn sie in einem Museum einem Hasen begegnet. Es ist erstaunlich wieviele Hasen sich in der Kunstgeschichte verstecken. Wie wesentlich seine Bedeutung ist. Aber noch wichtiger ist die Form der Begegnung zwischen uns und der Künstlerin während ihrer Begegnung mit dem Hasen. Mal beobachten wir sie dabei, wie sie sich ein Kunstwerk ansieht, mal sehen wir nur ihren Schatten in einer Spiegelung, mal schaut sie uns dadurch direkt in die Augen. Wir werden damit also selbst zum Betrachtenden, dann zum betrachteten Objekt.
Durch diese verschiedenen Perspektivwechsel, die sich zwischen dem Hasen, der Künstlerin und uns ergeben werden bewusst Fragestellungen formuliert, die darauf abzielen, sich mit dem eigenen Sein in der Umwelt auseinanderzusetzen. Zu hinterfragen was wir sehen und wie wir es sehen. Ein Bewusstsein entstehen zu lassen für unsere Erinnerungen, die sich mit dem Gegenwärtigen für die Zukunft verbinden. Ich glaube nirgendwo lässt sich diese Frage nach der Wirklichkeit und ihrer Erfahrung besser verhandeln als in der Kunst. Kunst spiegelt immer die Wahrnehmung der Künstler:innen wider. Ist immer ein Abbild des Gesehenen. Die Erfahrung von der möglichen Wirklichkeit. Kunst hat dabei aber keinen direkten Realitätsanspruch. Weder in der Malerei gibt es diesen, noch in der Fotografie, auch wenn man es der Fotografie so gerne abkaufen würde. Ich denke, gerade in unserer aktuellen von Krisen geschüttelten Zeit ist es wichtiger den je, sich zu öffnen und offen zu bleiben. Sich über sich selbst im Gesamten bewusst zu werden und darüber, dass die Wahrnehmungen verschieden sind. Nicht die Schubladen direkt zu schließen und auch im Hinblick auf sich selbst immer differenziert zu bleiben. Kunst ist nicht da um die Welt zu erklären, aber sie kann eine Verbindung dazu herstellen. Damit wir mit offenen Augen durchs Leben gehen. In der Ausstellung von Friederike Hinz können wir unsere Begegnung mit der Kunst genießen. Die Künstlerin hält uns die Schönheit der Natur vor Augen. In direkter Verbindung zu der wunderbaren Natur, die das Schloss Neersen hier umgibt. Friederike Hinz schafft Verbindungen. Von Außen nach Innen sozusagen und das, was sie gesehen haben nehmen Sie als Schatz dann nachher wieder von Außen mit nach Innen und tragen es in ihrem Erfahrungskoffer mit nach Hause. In diese Sinne, genießen Sie die Ausstellung.“
Julia Moebus-Puck, Museum Kurhaus Kleve